Helfer vor Ort: Ehrenamtliche sind schneller als der Rettungsdienst
Helfer vor Ort und "Region der Lebensretter" sind wichtige Bausteine der Notfallversorgung. Sie ergänzen den Rettungsdienst. So schätzen Ehrenamtliche ihre Arbeit ein.
Bei einem Herzstillstand zählt jede Sekunde. Damit Patienten schnell professionelle Unterstützung erhalten, engagieren sich Ehrenamtliche beim Deutschen Roten Kreuz als "Helfer vor Ort", teilweise bringt sich hier sogar die Feuerwehr ein. Außerdem werden viele per App alarmiert, die der Verein "Region der Lebensretter" ins Leben gerufen hat. Beide Systeme bilden Bausteine, damit Menschen sehr schnell Hilfe bekommen. Zugleich unterscheiden sie sich grundlegend: Helfer vor Ort kommen zu vielen Patienten, wenn kein Rettungsdienst in der Nähe ist, die Lebensretter nur bei Notfällen.
Manchmal dauert die Anfahrt des Rettungswagens bis zu 20 Minuten
Im nördlichen Landkreis Heilbronn ist Möckmühl zumindest theoretisch gut aufgestellt. In der dortigen Rettungswache stehen den Einsatzkräften Rettungswagen und Notarztfahrzeug zur Verfügung. Nur: Was ist, wenn die dort stationierten Einsatzkräfte bereits unterwegs sind? Der nächste Rettungswagen eine Anfahrt von 15 bis 20 Minuten vor sich hat? Dann werden dort DRK-Ehrenamtliche alarmiert - egal, ob sie gerade beim Einkaufen sind oder den Rasen mähen. Als Helfer vor Ort sind sie in kurzer Zeit beim Patienten.
"Das ist ein Zeitvorsprung", sagt der Ortsvereinsvorsitzende Georg Schultes. "Ich mache es aus Idealismus", begründet er seine Hilfe - aus Wertschätzung den Menschen gegenüber, aus Dankbarkeit. "Aus Liebe zum Mitmenschen, um jemandem Gutes zu tun, jemandem zu helfen", sagt Sohn Kim Schultes. Aber es spielt auch die Familie mit eine Rolle, sagt Georg Schultes: Sein Vater Walter hat sich über viele Jahre beim DRK stark eingebracht.
So viel haben die Möckmühler zu tun
Das Aufgabenfeld ist groß. Bei einer Geburt waren die Helfer vor Ort schon genauso gefordert wie bei einer Reanimation, erzählen die Möckmühler. Sie fahren in Wohngebiete und zu Unfällen auf der A 81. Kürzlich waren sie bei einer älteren Familie, in der ein Mann Probleme mit Zucker hatte. Verunsichert war das Paar, erzählt Kim Schultes. Medizinisch sei es "nichts Dramatisches" gewesen, ihm bedeutet seine Hilfe für die beiden trotzdem sehr viel. Sie seien froh gewesen, schnell einen Ansprechpartner zu haben. "Man nimmt jeden Einsatz ernst", sagt Georg Schultes. Durchschnittlich kommen auf die Möckmühler pro Jahr 100 Einsätze zu, 70 bis 80 Prozent davon übernehmen Schultes; auch weil sie es mit dem Beruf vereinbaren können.
Die Möckmühler sehen sich als erste Ansprechpartner für die Leitstelle. Vor Ort können die Helfer die Situation besser einschätzen. Ist es womöglich schlimmer als zunächst angenommen? Dann ordern sie einen Arzt nach. Oder ist es weniger dramatisch als gedacht? Dann geben sie Entwarnung. "Wir entscheiden über den weiteren Verlauf", weiß Georg Schultes. Die Ehrenamtlichen wissen, dass sie deshalb eine große Verantwortung tragen. "Das Wichtigste ist es, Routine zu haben", sagt Kim Schultes.
Auch das Psychologische zählt bei Helfern vor Ort
Den psychologischen Faktor hebt auch Lukas Penka hervor, der stellvertretender Vorsitzender des DRK Brackenheim ist und dort die Helfer vor Ort leitet. Egal, worum es geht: Für Angehörige, die den Notdienst angerufen haben, ist das Warten oft endlos lang. Minuten fühlen sich wie Stunden an. Keiner da, der nach dem Patienten schaut. Niemand, der beruhigen kann. Niemand, der den Blutdruck prüft. "Das ist schlecht." Wenn aber jetzt jemand in Güglingen umfalle, sei er als Helfer vor Ort in drei Minuten da. "Das macht einen Unterschied", sagt er. Patrick Braun, Kreisbereitschaftsleiter des Deutschen Roten Kreuzes im Hohenlohekreis, sieht das genauso: Es gebe Menschen ein Sicherheitsgefühl, sobald jemand mit einer roten Jacke anwesend sei - blickt er auf die Einsatzkleidung der Helfer. Auch ohne lebensrettende Maßnahmen sei die Arbeit wichtig, dann sei es "tröstende Hilfe", sagt Patrick Braun. Im Kreis Heilbronn gibt es 20 Helfer-Gruppen, die im Schnitt 10 000 Mal pro Jahr alarmiert werden. Nur die Hälfte davon würden tatsächlich gefahren, sagt Andreas Giel, der im Kreis die Gruppen betreut. Oft fehlten Ehrenamtliche. "Es ist eine sehr wichtige und nützliche Einrichtung", sagt er über Helfer vor Ort. Sie könnten die Situation besser einschätzen. "Man kann die Rettungskette ergänzen."
Brackenheim ist froh über neues Fahrzeug
In Brackenheim, Cleebronn und Güglingen gibt es die Helfer vor Ort seit Anfang 2013. Bis Mitte September 2022 sind die Ehrenamtlichen zu fast 240 Einsätzen gerufen worden, rechnerisch pro Tag eine Alarmierung. "Wir sind stolz auf unseren guten Ausbildungsstand", betont Lukas Penka. "Alle Helfer sind entweder dreijährig in einem Gesundheitsfachberuf ausgebildet oder haben eine Rettungsdienstausbildung als Rettungssanitäter." Glücklich ist der Verein, dass ihnen vergangenes Jahr ein Fahrzeug gespendet wurde. "Seitdem haben wir tatsächlich auch das nötige Equipment für alle Arten von Notfällen dabei", sagt er. "Zuvor hätten wir nicht jedem Helfer ein EKG in den Kofferraum packen können oder ein Abnabelungsset für die unerwartete Hausgeburt", berichtet er über Einsätze mit Privatautos.
Die Ehrenamtlichen engagieren sich über ihre DRK-Ortsvereine in der Heimat. Es entstünde ein Vertrauensverhältnis allein schon dadurch, dass Patienten oder Angehörige "bekannte Gesichter" sähen, sagt Patrick Braun aus Hohenlohe. Zugleich träfen Helfer immer wieder Menschen, denen sie helfen konnten: Für Lukas Penka sind das besondere Momente. Er erfährt positive Rückmeldung. "Das ist etwas Sinnstiftendes." Über solche Augenblicke freuen sich auch die Möckmühler. Georg Schultes betont: "Man trifft sich wieder, das ist ganz toll."
Und dann ist das die Sache mit den Arbeitgebern
Die Helfer vor Ort engagieren sich ehrenamtlich wie Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr. Während Angehörige der Feuerwehr bei Einsätzen vom Arbeitgeber freigestellt werden müssen, hängt es bei den DRK-Ehrenamtlichen vom Wohlwollen der Arbeitgeber ab. In der Region machen die Helfer vor Ort häufig sehr gute Erfahrungen mit den Chefs. Im Zabergäu unterscheidet beispielsweise ein Unternehmen nicht zwischen DRK und Feuerwehr, erzählt Lukas Penka: Egal, welcher Melder einen Alarm schlage, der Mitarbeiter könne natürlich seinen Arbeitsplatz verlassen. Er engagiere sich schließlich für die Mitmenschen, erzählt er. Patrick Braun, Kreisbereitschaftsleiter des Deutschen Roten Kreuzes im Hohenlohekreis, erzählt von Erfahrungen in seinem Zuständigkeitsbereich: Ein paar Chefs würden Helfer vor Ort im Einsatz freistellen, das machten aber nicht alle.
Artikel aus der Heilbronner Stimme von Simon Gajer